06.09.23
Ein Interview mit Katrin Mai
Frau Mai, Sie arbeiten schon viele Jahre als selbstständige Übersetzerin und übersetzen unter anderem Texte in Leichte oder Einfache Sprache. Wie sind Sie zu diesem Beruf gekommen? Woher kam der Wunsch, als Übersetzerin zu arbeiten?
Ursprünglich bin ich Übersetzerin für Fremdsprachen und der Bereich Wirtschaft und Recht ist mein Fachbereich. Schon früher sind mir neue Sprachen leichtgefallen und haben mir Spaß gemacht. Man taucht mit jeder neuen Sprache in eine andere Kultur ein. Und ich dachte mir – das möchte ich zum Beruf machen. Dabei hat mich besonders die praktische Seite interessiert, also das Vermitteln zwischen den Sprachen und Kulturen. Eine Sprachwissenschaftlerin wäre sicher nie aus mir geworden. Zum Übersetzen in Leichte und Einfache Sprache bin ich über einen Vortrag des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer, in dem ich selbst Mitglied bin, gekommen und habe dann in dem Bereich eine Fortbildung gemacht. Es war für mich ein Augenöffner zu sehen, dass in unserer eigenen Sprache viele Meschen bestimmte Texte aus unterschiedlichen Gründen nicht verstehen. Und als Übersetzerin für Rechtstexte konnte ich das sehr gut nachvollziehen, da auch diese Texte oft sehr kompliziert und in einer schwer zugänglichen Fachsprache geschrieben sind.
Wie kann man sich die Arbeitsschritte einer Übersetzung in Einfache Sprache vorstellen? Welche Herausforderungen gibt es hierbei?
Zunächst ist es die Textmenge: Wenn ich bei einem Text an das Zielpublikum denke, dann muss ich mir überlegen, wie viel Text kann ich den Lesenden zumuten. Welche Informationen sind wichtig, welche kann ich weglassen. Das fällt mir manchmal schwer, weil ich dann denke: Jetzt muss ich bestimmen, was die Leute lesen dürfen und was nicht. Als nächstes überlege ich, ob die Reihenfolge der Informationen, so wie sie im Ausgangstext steht, beibehalten werden kann. Und dann gehe ich immer mehr ins Detail: zuerst die Sätze, dann die einzelnen Wörter. Im Prinzip Stück für Stück vom Großen ins Kleine.
Vor kurzem haben Sie für den Spaß am Lesen Verlag den Roman „Der Sonne nach“ in Einfache Sprache übersetzt. Wie schaffen Sie es, dass die Geschichte und die Erzählweise eines Buches durch das Übersetzen in Einfache Sprache erhalten bleibt?
Bei dem Buch ging das gut, weil es eine sehr jugendliche Sprache ist. In dem Roman gibt es viele Dialoge. Die verleihen einer Geschichte natürlich eine gewisse Atmosphäre. Diese Dialogstruktur konnte ich gut übernehmen. Bei den Büchern in Einfacher Sprache sind auch die Worterklärungen am Ende hilfreich, wenn ich dann doch hin und wieder ein bestimmtes Wort beibehalten muss, da sonst die Stimmung der Erzählung verloren geht.
Weshalb ist es so wichtig, dass es Texte, vor allem Freizeit-Lektüre, in verständlicher Sprache gibt?
Das fällt für mich unter den Begriff der kulturellen Teilhabe. Vielen denken bei Einfacher Sprache in erster Linie an alltägliche Hürden wie zum Beispiel die Patientenaufklärungsbögen beim Arzt oder Behördentexte. Tatsächlich machen nur ca. 20% der fremdsprachlichen Texte den Bereich der Literatur-Übersetzung aus. Aber Lesen soll ja auch Spaß machen – mal eine schöne Geschichte lesen, sich abends mit einem schönen Buch hinsetzen. Lesen soll nicht immer nur als Pflicht angesehen werden. Lesen soll auch bedeuten, dass ich mir dadurch schöne Welten erschließen und in schöne Geschichten eintauchen kann. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass es Bücher in Einfacher Sprache gibt.
Gibt es ein Projekt im Bereich der Leseförderung das Ihnen bisher besonders gefallen hat oder am Herzen lag?
Im letzten Jahr gab es im Rahmen des Weltalphabetisierungstags bei mir im Stadtbezirk Spandau ein inklusives Literatur-Festival, auf dem einige Bücher vom Spaß am Lesen Verlag vorgestellt wurden. Ich habe damals den Workshop „Übersetzen von Märchen in Einfache Sprache“ angeboten, um Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. Das war eine interessante Erfahrung, weil die Teilnehmenden sich bei jedem zweiten Wort gefragt haben „Muss ich das Wort jetzt verändern oder kann ich das so stehen lassen?“. Und diese Unsicherheit kenne ich selbst aus meiner Anfangszeit als Übersetzerin. Von daher finde ich auch das Vier-Augen-Prinzip oder Rückmeldungen aus der Zielgruppe sehr wichtig. Und generell zur Leseförderung muss ich sagen, dass ich das Programm des Spaß am Lesen Verlags sehr schön finde – auch die Bücher, die nicht übersetzt, sondern direkt in Einfacher Sprache verfasst sind.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, eigene Texte zu verfassen?
Ehrlich gesagt bisher noch nicht. Vielleicht bin ich da auch zu sehr Übersetzerin, dass ich immer einen Text brauche, der mir eine Herausforderung bringt. Aber ich will es nicht ausschließen für die Zukunft. Ich glaube, für das kreative Schreiben braucht man dann auch mehr Zeit, man muss ja auch ein wenig spinnen können. Und ich habe ja auch noch die Fremdsprachenübersetzung als anderes Standbein ... Aber ja, wer weiß!
Vielen Dank für das spannende Gespräch, Frau Mai!