03.05.23

2023 Buchmesse Leipzig der Alfa-Selbsthilfe Dachverband e.V. mit Herrn Beeveldt vom Spaß am Lesen Verlag

Ein Interview mit Kerstin Goldenstein vom Alfa-Selbsthilfe Dachverband

Auf der Leipziger Buchmesse haben wir Kerstin Goldenstein aus dem Vorstand des Alfa-Selbsthilfe Dachverbandes getroffen und sind mit ihr ins Gespräch gekommen. Das war für uns als Verlag besonders spannend, da wir mit (ehemals) Betroffenen sprechen konnten, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben.

Was ist der Alfa-Selbsthilfe Dachverband – aus welchen Mitgliedern besteht er und an wen richtet der Verein sich?

Goldenstein: Wir sind alle Betroffene und Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben – egal in welcher Richtung. Erstmal gibt es die 6,2 Millionen funktionalen Ananlphabeten oder gering literalisierten. Dann kommen nochmal diejenigen dazu, die wissenschaftlich auf dem Level 4 stehen. Das sind noch einmal 10 Millionen, die ein etwas weitreichenderes Textverständnis haben, aber trotzdem noch große Blockaden haben und Schreibfehler machen.

Wir haben uns deshalb als Verein VON Betroffenen FÜR Betroffene gegründet, auch in Form von Selbsthilfegruppen. Wir möchten andere auf dem Weg des Lernens begleiten und zeigen – wir können das! Am Ende kann man sich nur verbessern und stolz auf sich sein.

Wie helft ihr Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben dabei, Hürden im Alltag zu überwinden und warum seid ihr so wichtig? Habt ihr vielleicht bestimmte Projekte angestoßen?

Goldenstein: So weit sind wir bisher noch nicht. Wir haben zwar ausgearbeitete Projekte, die wir gerne konkret machen möchten. Aber uns fehlt ganz eindeutig das Geld dafür – leider! Es geht nicht, dass wir jetzt zum Beispiel sagen, wir bieten Kurse an – das können wir gar nicht. Wir wollen, dass sich in verschiedenen Städten mehr Selbsthilfegruppen bilden. Dass die Hemmschwelle für Betroffene nicht so hoch ist und es Anlaufstellen gibt. Dass sie sagen können „Okay, da sitzen Leute, die dieselben Probleme haben wie ich und da kann ich dahingehen.“ Das ist uns ganz wichtig, dass das nach außen transportiert wird.

Vor allem müssen die Leute wissen, dass sie nicht allein sind. Fast alle denken, sie haben als Einzige das Problem. Auch auf der Leipziger Buchmesse ist das in Gesprächen aufgefallen: Jeder hat gedacht, er ist der Einzige – ich sag es mal mit meinen Worten – „Blödi“ hier auf der Welt und alle anderen können das. Dass es noch mehr Betroffene gibt, hat niemand gedacht oder gewusst. Und da es mit so großer Scham behaftet ist, ist es so wichtig, beide Seiten und die Gesellschaft insgesamt aufzuklären.

Sie hatten es eben schon angesprochen, Sie waren auch auf der Leipziger Buchmesse – welche Eindrücke haben Sie dort mitgenommen?

Goldenstein: Also wir haben Herrn Gauck getroffen und sind mit Frau Roth ins Gespräch gekommen.  und es sogar geschafft, ganz kurz mit ihm zu sprechen. Unser Schirmherr Sebastian Fitzek musste die Messe krankheitsbedingt leider früher verlassen, ihn haben wir verpasst. Tausend Leute haben uns angesprochen, dass unsere Organisation eine super Sache ist und wir haben tolle Gespräche geführt. Insgesamt war es ein guter Austausch und wir haben versucht, alle darüber zu informieren, dass bestimmt jeder mindestens eine betroffene Person in seinem Bekanntenkreis hat, es nur nicht weiß. Dass man drüber spricht zuhause und so weiter.

Welchen Einfluss hat die Buch- und Verlagsbranche auf die Zahl der Analphabeten? Warum können Bücher ein wichtiges Medium sein und warum darf Literatur in Einfacher Sprache nicht fehlen?

Goldenstein: Auf jeden Fall ist die Hemmschwelle nicht so hoch - ein Buch mit 600 Seiten fasst normalerweise jemand, der Probleme mit dem Lesen hat, schon mal gar nicht erst an, weil er beim bloßen Anblick schon die Krise bekommt. Aber die Bücher in Einfacher Sprache sind super – man kann sie ganz durchlesen, man braucht nicht so lange, und man kann alles besser verstehen, da besonders schwierige Wörter erklärt werden. Auch ich war ein ehemaliger Lerner und somit eine Betroffene. Die Bücher in Einfacher Sprache nehmen einem die Angst vor dem Lesen. Vor allem im Unterricht werden die Bücher gemeinsam durchgelesen und bearbeitet, um das Lesen und Schreiben zu lernen und zu fördern. Also es macht einfach Spaß, diese Bücher zu lesen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft: für Ihren Verband aber auch allgemein – was muss sich in der Politik und in der Gesellschaft verändern?

Goldenstein: Wir möchten nicht mehr diskriminiert werden! Niemand soll mehr Angst haben müssen, wenn er sagt, dass er Probleme mit dem Lesen und Schreiben hat. Wir möchten, dass man anerkannt wird, dass die Gesellschaft uns akzeptiert. Es wird immer wieder nachgefragt: „Wie oder wann ist das denn passiert?“. Und die meisten werden antworten: Keine Ahnung – es ist einfach so! Es bedarf keiner Erklärung, sondern sollte einfach akzeptiert werden. Und natürlich ist es wichtig, dass wir unsere Projekte auch wirklich umsetzen können und es mehr finanzielle Mittel gibt. Denn wir finanzieren uns ausschließlich über Spendengelder.

Gibt es noch etwas, was Sie den Menschen mitgeben möchten?

Goldenstein: Ich möchte den Leuten nahelegen, mehr Akzeptanz in der Gesellschaft auf beiden Seiten zu entwickeln. Ich wünsche mir, dass die betroffenen Menschen den Mut zusammennehmen, etwas an ihrem Leben zu ändern und feststellen, wie toll das ist, wenn man besser Lesen und Schreiben kann!


Bild: privat

Auf der Leipziger Buchmesse haben wir Kerstin Goldenstein aus dem Vorstand des Alfa-Selbsthilfe Dachverbandes getroffen und sind mit ihr ins Gespräch gekommen. Das war für uns als Verlag besonders spannend, da wir mit (ehemals) Betroffenen sprechen konnten, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben.

Was ist der Alfa-Selbsthilfe Dachverband – aus welchen Mitgliedern besteht er und an wen richtet der Verein sich?

Goldenstein: Wir sind alle Betroffene und Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben – egal in welcher Richtung. Erstmal gibt es die 6,2 Millionen funktionalen Ananlphabeten oder gering literalisierten. Dann kommen nochmal diejenigen dazu, die wissenschaftlich auf dem Level 4 stehen. Das sind noch einmal 10 Millionen, die ein etwas weitreichenderes Textverständnis haben, aber trotzdem noch große Blockaden haben und Schreibfehler machen.

Wir haben uns deshalb als Verein VON Betroffenen FÜR Betroffene gegründet, auch in Form von Selbsthilfegruppen. Wir möchten andere auf dem Weg des Lernens begleiten und zeigen – wir können das! Am Ende kann man sich nur verbessern und stolz auf sich sein.

Wie helft ihr Menschen, die Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben dabei, Hürden im Alltag zu überwinden und warum seid ihr so wichtig? Habt ihr vielleicht bestimmte Projekte angestoßen?

Goldenstein: So weit sind wir bisher noch nicht. Wir haben zwar ausgearbeitete Projekte, die wir gerne konkret machen möchten. Aber uns fehlt ganz eindeutig das Geld dafür – leider! Es geht nicht, dass wir jetzt zum Beispiel sagen, wir bieten Kurse an – das können wir gar nicht. Wir wollen, dass sich in verschiedenen Städten mehr Selbsthilfegruppen bilden. Dass die Hemmschwelle für Betroffene nicht so hoch ist und es Anlaufstellen gibt. Dass sie sagen können „Okay, da sitzen Leute, die dieselben Probleme haben wie ich und da kann ich dahingehen.“ Das ist uns ganz wichtig, dass das nach außen transportiert wird.

Vor allem müssen die Leute wissen, dass sie nicht allein sind. Fast alle denken, sie haben als Einzige das Problem. Auch auf der Leipziger Buchmesse ist das in Gesprächen aufgefallen: Jeder hat gedacht, er ist der Einzige – ich sag es mal mit meinen Worten – „Blödi“ hier auf der Welt und alle anderen können das. Dass es noch mehr Betroffene gibt, hat niemand gedacht oder gewusst. Und da es mit so großer Scham behaftet ist, ist es so wichtig, beide Seiten und die Gesellschaft insgesamt aufzuklären.

Sie hatten es eben schon angesprochen, Sie waren auch auf der Leipziger Buchmesse – welche Eindrücke haben Sie dort mitgenommen?

Goldenstein: Also wir haben Herrn Gauck getroffen und sind mit Frau Roth ins Gespräch gekommen.  und es sogar geschafft, ganz kurz mit ihm zu sprechen. Unser Schirmherr Sebastian Fitzek musste die Messe krankheitsbedingt leider früher verlassen, ihn haben wir verpasst. Tausend Leute haben uns angesprochen, dass unsere Organisation eine super Sache ist und wir haben tolle Gespräche geführt. Insgesamt war es ein guter Austausch und wir haben versucht, alle darüber zu informieren, dass bestimmt jeder mindestens eine betroffene Person in seinem Bekanntenkreis hat, es nur nicht weiß. Dass man drüber spricht zuhause und so weiter.

Welchen Einfluss hat die Buch- und Verlagsbranche auf die Zahl der Analphabeten? Warum können Bücher ein wichtiges Medium sein und warum darf Literatur in Einfacher Sprache nicht fehlen?

Goldenstein: Auf jeden Fall ist die Hemmschwelle nicht so hoch - ein Buch mit 600 Seiten fasst normalerweise jemand, der Probleme mit dem Lesen hat, schon mal gar nicht erst an, weil er beim bloßen Anblick schon die Krise bekommt. Aber die Bücher in Einfacher Sprache sind super – man kann sie ganz durchlesen, man braucht nicht so lange, und man kann alles besser verstehen, da besonders schwierige Wörter erklärt werden. Auch ich war ein ehemaliger Lerner und somit eine Betroffene. Die Bücher in Einfacher Sprache nehmen einem die Angst vor dem Lesen. Vor allem im Unterricht werden die Bücher gemeinsam durchgelesen und bearbeitet, um das Lesen und Schreiben zu lernen und zu fördern. Also es macht einfach Spaß, diese Bücher zu lesen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft: für Ihren Verband aber auch allgemein – was muss sich in der Politik und in der Gesellschaft verändern?

Goldenstein: Wir möchten nicht mehr diskriminiert werden! Niemand soll mehr Angst haben müssen, wenn er sagt, dass er Probleme mit dem Lesen und Schreiben hat. Wir möchten, dass man anerkannt wird, dass die Gesellschaft uns akzeptiert. Es wird immer wieder nachgefragt: „Wie oder wann ist das denn passiert?“. Und die meisten werden antworten: Keine Ahnung – es ist einfach so! Es bedarf keiner Erklärung, sondern sollte einfach akzeptiert werden. Und natürlich ist es wichtig, dass wir unsere Projekte auch wirklich umsetzen können und es mehr finanzielle Mittel gibt. Denn wir finanzieren uns ausschließlich über Spendengelder.

Gibt es noch etwas, was Sie den Menschen mitgeben möchten?

Goldenstein: Ich möchte den Leuten nahelegen, mehr Akzeptanz in der Gesellschaft auf beiden Seiten zu entwickeln. Ich wünsche mir, dass die betroffenen Menschen den Mut zusammennehmen, etwas an ihrem Leben zu ändern und feststellen, wie toll das ist, wenn man besser Lesen und Schreiben kann!


Bild: privat