03.01.23

Rechtssprache_Blogbild

Keine Angst vor verständlicher Sprache

Ein entspannter Dezember – für mich war das leider nicht so. In einem Verlag ist der Dezember immer der "Vertragsmonat". Verlängerungen oder Änderungen von Verträgen für Buchlizenzen, Energieunternehmen, Steuerbüros und vielen anderen Dienstleistern. Oft sind das unverständliche Dokumente. Es ist auffällig, wie unnötig kompliziert diese Verträge oft sind. Natürlich haben wir als Verlag für verständliche Kommunikation ein besonderes Auge für alles, was zu schwierig ist, und sind daher besonders kritisch gegenüber unnötig komplizierten Texten. Aber man muss sagen: Viele Rechtsabteilungen machen das Verstehen wirklich schwer.

Warum ist verständliche Sprache für Juristen so weit entfernt? Ist es eine Frage des Desinteresses? Interessiert es sie, ob ihre Leser verstehen können, was ihnen vertraglich vorgelegt wird? Ist es die Macht der Gewohnheit, so kompliziert wie möglich zu schreiben, oder leiten sie daraus ein Gefühl der Überlegenheit ab? Juristen lernen, auf der Grundlage des Gesetzes zu argumentieren – und auch so zu schreiben. Das lernen sie schon während des Studiums. Die Verfassung, das Strafgesetzbuch usw. sind die grundlegenden Dokumente für jeden Juristen. Damit fühlen sie sich zu Hause. Und was jemandem lange beigebracht wurde, das kann man nicht einfach verlernen.

Dennoch könnte sich in der Welt des Rechts langsam die Erkenntnis durchsetzen, dass Verständlichkeit für alle Beteiligten Vorteile hat. Zunächst einmal für die Kunden: Ein verständliches juristisches Dokument gibt Sicherheit. Die Kunden wissen, was ihr nächster notwendiger Schritt sein muss. Andersrum landet ein kompliziertes Dokument häufig auf dem Stapel unzähliger anderer Briefe, mit denen wir uns nicht auseinandersetzen, weil wir sie nicht verstehen. Aber auch für eine Organisation selbst: Verständliche Texte führen zu weniger Fragen, Schriftverkehr und Telefonaten. Das spart viele teure Stunden.

Vielleicht gibt es unter unseren Lesern einige Juristen. Vielleicht haben sie sogar die gute Absicht, 2023 ein wenig verständlicher zu kommunizieren. Darf ich Ihnen ein paar Tipps geben?

Der Tipp, der sich am schnellsten auszahlt: Vermeiden Sie altmodische Sprache und Fachsprache. In Rechtstexten wimmelt es oft noch von altmodischer Sprache, die in der Umgangssprache längst verschwunden ist. “Gegenwärtig” statt “Jetzt”, “unverzüglich” statt “sofort”. Man kann leicht auf sie verzichten. Ersetzen Sie sie, und Sie werden sehen, dass Ihr Text dadurch nicht weniger aussagekräftig wird.

Eine weitere juristische Besonderheit: die Betonung der Präzision. Diese ist den meisten Anwälten heilig. So wird zum Beispiel aus einem Apfel eine rote, runde Frucht, die oft an einem Baum hängt oder in dessen Umkreis zu finden ist. Ist diese Überpräzision immer notwendig? Nein, denn sie schafft vor allem Unverständlichkeit.

Und schließlich: die Struktur eines durchschnittlichen juristischen Schreibens. Diese folgen oft dem so genannten Trichtermodell: Das sind die Fakten, das ist das Gesetz, also ist das die Schlussfolgerung. Die abschließende Meldung steht dann oft am Ende. Ein solches Schreiben folgt also der Argumentation. Diejenigen, die verständlich kommunizieren wollen, machen es genau andersherum. Dort ist das Pyramidenmodell üblich: Zunächst die Hauptbotschaft. Dann die Erklärung. Dies ist für den Leser leichter zu verstehen, weil mit der Hauptaussage begonnen und diese dann erklärt wird.  

Eine unmögliche Aufgabe für einen Anwalt? Nein. Beide Formen verwenden die gleichen Bausteine, sie haben nur eine andere Reihenfolge.

Liebe Juristen, versuchen Sie im kommenden Jahr, Ihre Pawlowschen Reflexe loszulassen. Überwinden Sie Ihre Angst, dass ein verständlicher Text weniger korrekt sein könnte. Erkennen Sie, dass Verständlichkeit nicht gleichbedeutend mit Einfachheit ist. Diejenigen, die verständlich schreiben, vereinfachen die Dinge nicht. Nein, sie werden einfach nicht schwieriger beschrieben, als sie sind.

Dann könnte mein Dezember im nächsten Jahr viel ruhiger werden.