04.04.24

Kopie von Februar (8 x 12 cm) (1)

KI und Einfache Sprache? Diskussion auf der Leipziger Buchmesse

Wie immer lockte eine der größten Buchmessen Deutschlands im vergangenen Monat wieder Scharen von Menschen an. Schon bevor die Leipziger Buchmesse ihre Türen öffnete, bildete sich eine lange Schlange bis weit auf den Messeplatz hinaus. Es ist immer wieder beeindruckend, wie laut und deutlich der Herzschlag der Literatur bei solchen Veranstaltungen zu spüren ist.

Da die Niederlande und Belgien Gastländer in Leipzig waren, bildete unser Stand eine Art „Dreiländereck“. Wir vertraten sowohl Deutschland (Spaß am Lesen Verlag) als auch die Niederlande (Eenvoudig Communiceren) und Belgien (Lezen voor Iedereen), denn in allen drei Ländern haben wir einen Verlag für Bücher in Einfacher Sprache. Das kam mir sehr passend vor und ich war zuversichtlich- von der Presse würde sicher etwas kommen.

Allerdings wurde die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher in diesem Jahr nicht nur von den herkömmlichen Büchern in Papierform eingenommen: Auch der Bereich der Künstlichen Intelligenz war auf der Messe sehr präsent und zog die Menschen in ihren Bann. Bei den Vorträgen, bei Vorführungen, bei den Ständen. Wie KI die Bildung beeinflussen wird, wie man damit Texte vereinfachen kann, die KI als neues Hilfsmittel für Lehrer. Auch beim äußeren Erscheinungsbild konnte sich die neu aufkommende Branche nachdrücklich abheben. Bei den Ständen der Verlage- und waren sie noch so auffällig gestaltet - geht es immer darum, möglichst viele Bücher zu präsentieren: Das wichtigste Hilfsmittel ist und bleibt der „altmodische“ Bücherschrank. Sie standen in Kontrast zu den hochmodernen KI-Ständen. Einer von ihnen war sogar wie eine Art Raumstation gestaltet, wohl um zu unterstreichen, dass es sich hier um eine sehr futuristische Veranstaltung handelte.

Ich selbst war zu einer öffentlichen Diskussion über KI und Einfache Sprache eingeladen. „Welche Bedeutung wird KI für die allgemeine Zugänglichkeit von Literatur haben?“, lautete das Thema. Schon beim Betreten des Raumes stellte ich eine gewisse Lebendigkeit im Publikum fest, das deutlich jünger war als die übliche Altersgruppe, die ich sonst bei Podiumsdiskussionen antreffe.

Es war schnell klar, dass die Anwesenden davon ausgingen, dass das Thema der Diskussion hauptsächlich rhetorisch zu verstehen war. Für sie schien die Antwort bereits festzustehen: KI ist die Lösung für die sonst so schwer zu erreichende Zugänglichkeit der Literatur für alle. Sie erwarteten von mir nur noch zu erfahren, wie. Sie erwarteten keine Einwände.

Ich musste sie enttäuschen. Die KI ist noch nicht so weit. Ich hatte einen Redakteur an meiner Seite, der mehrere KI-Programme zur Vereinfachung von Texten getestet hatte. Bei kurzen Sachtexten hatte dies gut funktioniert. Diese Programme wussten, wie man Sätze vereinfacht und konnten den Sachtext so sehr gut zusammenfassen. Aber auch hier gab es ein Problem: Einen Text für weniger literarisierte Menschen zugänglich zu machen bedeutet viel mehr als ihn nur zu komprimieren. Aspekte wie das wesentliche Mitdenken und das Vermeiden der Notwendigkeit von Vorwissen sind ebenso wichtig. Und diesbezüglich erwiesen sich die getesteten KI-Tools als wenig effektiv. Als Hilfsmittel sind sie zweifellos nützlich, aber das Ergebnis bleibt ohne menschliches Zutun ungeschliffen.

Im Bereich der Romane waren die Schwachstellen der KI-Systeme noch deutlicher. Die Vereinfachung mittels KI kam über einen spannenden Klappentext nicht hinaus. So wie Literatur nicht einfach durch Software und Apps ersetzt werden kann, gelingt es auch nicht mit vereinfachter Literatur. Die Unberechenbarkeit des menschlichen Gehirns siegt hier eindeutig über die statistischen arbeitenden Algorithmen. Letztere liefern mühelos eine nette kleine Geschichte, teils sogar mit einigen unerwarteten Wendungen (die aus bereits bestehenden Texten entnommen wurden), aber die Ausarbeitung bleibt bei flachen Beschreibungen und monotonen Dialogen, so fade wie trockene Haferflocken.

Mein Beitrag zur Diskussion wurde nicht gut aufgenommen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer wurden unruhig. Das war nicht das, wofür sie gekommen waren. Google-Buttons, die schnell konsumierbare Lösungen liefern würden, wären naheliegender gewesen.

Ich konnte sehen, dass die Leute versuchten, mein Alter einzuschätzen. Ein Nörgler, der nicht mit der Zeit geht. Hier und da gab es Stirnrunzeln. Der Tonfall der Fragestellenden wurde lauter, eindringlicher, kühler.

Ich erläuterte noch einmal die Nachteile der KI. Dass sie zu unumkehrbarer Faulheit führen wird. Zum Beispiel sind staatliche Organisationen dazu verpflichtet, verständlich zu kommunizieren. Nicht jede Gemeinde kommt dem jedoch mit gleichem Eifer nach. Oftmals wird es als Zwang gesehen. Die KI wird diese Trägheit noch verstärken. Ein Schwall an misslungener, einfacher Kommunikation wird den Markt überschwemmen. Nicht nur, dass sich Analphabeten übergangen fühlen werden- auch für die allgemeine Akzeptanz von barrierefreier Sprache wird dies verheerend sein.

Mein Publikum schien alles andere als überzeugt. So ist das nun einmal mit neuen Entwicklungen. Es herrscht überall das Gefühl, dass die Technik automatisch die Welt verbessert. Die Menschen werden etwas mürrisch, wenn das letzte Bastion des fortschrittlichen Denkens in Frage gestellt wird. In der Technologiekirche ist Skepsis reine Blasphemie.

Noch eine Schippe draufgelegt: Warum sollte man der KI so viel Platz gewähren? Das bekannte Gedicht vom Zauberlehrling gilt auch für die Gebildeten. Untersuchungen zeigen, dass die KI derzeit vor allem dazu verwendet wird, mittelmäßige Texte zu verbessern. Von Arbeitgebern bei Stellenausschreibungen, von Arbeitnehmern für ihre Bewerbungen. Das klingt zwar interessant, aber ist es nicht anspruchsvoller, das selbst zu tun. Denken muss ständig geübt werden und das tut man, indem man selbst schreibt.

Das alles war nicht das, was die Leute hören wollten. Hier und da schaute jemand auf die Uhr. Manche griffen bereits nach ihren Mänteln oder Taschen.

„Wenn jeder auf selbstständiges Mitdenken verzichtet, treiben wir unseren eigenen kulturellen Verfall voran“, versuchte ich als letzten Ausweg, um die Aufmerksamkeit zurückzugewinnen. Aber die ersten Zuhörer verließen bereits den Saal. Bild: Canva