12.04.23

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Sönke Stiller über den Entwurf zur DIN Spec

Nun liegt der Entwurf zur DIN Spec mit den Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache vor. Wir haben Sönke Stiller von der Agentur klar und deutlich dazu interviewt und nach seinem ersten Eindruck gefragt: Grundsätzlich bietet das Regelwerk eine deutliche Verbesserung gegenüber den bisherigen und beinhaltet viele wichtige Themen, die bisher zu kurz kamen. Allerdings lassen sich einige Aspekte kritisieren, wie beispielsweise die Gendergerechte Sprache oder der allgemein recht große Handlungsspielraum.

Den entsprechenden Blogbeitrag finden Sie unter folgendem Link: https://www.klarunddeutlich.de/post/din-spec-deutsche-leichte-sprache


Endlich liegt der Entwurf zur DIN SPEC Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache vor. Was steht drin?

"Wie der Name schon sagt: Empfehlungen für Leichte Sprache. Dabei wurden ganz verschiedene Themen berücksichtigt. Natürlich viele sprachliche Dinge, also Wortschatz, Satzbau, Textgliederung und so weiter. Aber der Entwurf geht darüber weit hinaus und gibt auch Empfehlungen für die optische und grafische Gestaltung von Text, für die Wahl eines passenden Mediums, für den Arbeitsprozess der Texterstellung und vieles mehr."

Was ist dein erster Eindruck des Entwurfs?

"Schade, dass es nur Empfehlungen sind! Das Dokument ist an vielen Stellen ein Fortschritt gegenüber dem, was wir haben, und wäre – mit ein paar entscheidenden Änderungen – wert, ein verbindlicher Standard zu sein. Denn das wäre ein echter Mehrwert gewesen: Verschiedene Regelwerke zu harmonisieren und einen echten, verbindlichen und idealerweise wissenschaftlich begründeten Qualitätsstandard zu setzen."

Welche Aspekte des Entwurfs erscheinen dir sinnvoll oder wichtig - was hältst du für besonders gelungen?

"Auf der sprachlichen Ebene gibt es einige klare Verbesserungen gegenüber bisherigen Regelwerken. Zum Beispiel die Empfehlung, dass Leichte Sprache grammatikalisch korrektes Deutsch sein sollte. Warum das allerdings nur eine Empfehlung und keine feste Regel ist, verstehe ich nicht.

Oder dies: Leichte Sprache vermeidet bisher den Genitiv komplett. Das wird in dieser DIN SPEC zurecht relativiert. Hier waren mir die Regeln bisher zu strikt und haben eher dazu geführt, dass Texte in Leichter Sprache befremdlich wirken. Ein konkretes Beispiel aus dem Entwurf: Die Formulierung „Annas Auto“ ist kein Problem, das verstehen alle. „Das Auto von Anna“ klingt dagegen irgendwie nach Kindersprache. Und genau das soll Leichte Sprache nicht sein.

Darüber hinaus begrüße ich sehr, dass Themen bearbeitet wurden, die bisher oft zu kurz kamen: Gestaltung, Schriftart, Art des Mediums, Kontextualisierung des Textes und so weiter. Hier macht der Entwurf viele gute Empfehlungen."

Wo siehst du im Entwurf Verbesserungsbedarf?

"Zwei wesentliche Punkte.

Erstens: Geschlechtergerechte Sprache, unter bestimmten Umständen inklusive Sonderzeichen, wird in Leichter Sprache erlaubt. Verstehen wir uns nicht falsch: Privat gendere ich meine Texte, mündlich wie schriftlich. Ich bin kein Gender-Gegner. Auch in Einfacher Sprache halte ich das Gendern in Grenzen für möglich. Aber nicht in Leichter Sprache. Es ist ja so: Geschlechtergerechte Sprache und Leichte Sprache haben ein gemeinsames Anliegen – Inklusion. Geschlechtergerechte Sprache will Menschen mitnehmen, indem sie explizit genannt werden. Leichte Sprache will Menschen mitnehmen, indem sie verstehen können, was gemeint ist. Die Frage aus der Sicht der Leichten Sprache ist nun: Was brauchen diese Menschen, um zu verstehen? Und hier gibt es einen Zielkonflikt. Denn sie lesen mühsam, entziffern Texte Buchstabe für Buchstabe. Wenn ich ein unbekanntes Zeichen wie den Genderstern in den Text schreibe, ist die Zielgruppe schlicht und einfach raus. Damit erreiche ich mein Ziel nicht mehr: Verständlichkeit.

Zweitens: Die DIN SPEC legt großen Wert darauf, Texte in Leichter Sprache als solche zu kennzeichnen. Es soll auf dem Cover, im Menü, auf dem Startbildschirm oder wo auch immer gut sichtbar sein, dass ein Angebot in Leichter Sprache ist. Ich verstehe den Gedanken: Wer es braucht, muss das Angebot finden. Aber ist es nicht stigmatisierend, wenn wir diesen Menschen gleichsam ein Schild aufkleben: „Hey, schaut alle her, dieser Mensch nutzt Leichte Sprache!“? Das ist aus meiner Sicht das Gegenteil von Inklusion. Wir schaffen zwei Systeme nebeneinander. Wenn ich böse und politisch unkorrekt formulieren wollte, würde ich sagen: Standardsprache für die Mehrheit und Leichte Sprache für die „Behinderten“. Wäre nicht stattdessen eine Sprache für alle erstrebenswert? Eine Sprache, die wirklich inklusiv ist? Eine Sprache, die so einfach ist, dass alle sie verstehen? Eine Sprache, die aber gleichzeitig nicht „speziell“ sein will? Streng genommen kritisiere ich an dieser Stelle aber nicht den Entwurfstext der DIN SPEC, sondern eine grundsätzliche Haltung."

Wie viel Handlungsspielraum (Empfehlungen statt klar definierter Regeln) ist sinnvoll und ab wann funktioniert es nicht mehr?

"Tja, das ist die große Frage. 100% Empfehlungen und 0% verbindliche Regeln, das scheint mir jedenfalls nicht der richtige Weg zu sein. Was fange ich mit einem Dokument an, das mir sagt, was ich tun „soll“? Ich mache mir meine eigenen Regeln. Ich kann nämlich überall sagen: An dieser Stelle möchte ich eine Ausnahme machen und von den Empfehlungen abweichen. Ist dieser Entwurf nicht geradezu eine Einladung dazu? Ich bin an dieser Stelle sehr auf die Kommentierungsphase gespannt und auf die Diskussion in der Fach-Community."

Wird der Entwurf im Bereich Leichte Sprache eine große Wirkung erzielen?

"Wenn ich das wüsste… (Pause)

Wäre es nicht einfacher, eine große Wirkung zu erzielen, wenn es eine Differenzierung zwischen klaren Regeln, Empfehlungen und Optionen gäbe? Also: Was muss ich unbedingt beachten, damit mein Text als Leichte Sprache gelten kann? Was sollte ich außerdem tun, es sei denn ich habe wirklich gute Gründe dagegen? Und welche Dinge kann ich umsetzen, wenn ich es für sinnvoll halte? Wäre damit nicht viel mehr gewonnen, als mit einem prinzipiell guten, aber unverbindlichen DIN SPEC-Text?"


Bild: privat

Nun liegt der Entwurf zur DIN Spec mit den Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache vor. Wir haben Sönke Stiller von der Agentur klar und deutlich dazu interviewt und nach seinem ersten Eindruck gefragt: Grundsätzlich bietet das Regelwerk eine deutliche Verbesserung gegenüber den bisherigen und beinhaltet viele wichtige Themen, die bisher zu kurz kamen. Allerdings lassen sich einige Aspekte kritisieren, wie beispielsweise die Gendergerechte Sprache oder der allgemein recht große Handlungsspielraum.

Den entsprechenden Blogbeitrag finden Sie unter folgendem Link: https://www.klarunddeutlich.de/post/din-spec-deutsche-leichte-sprache


Endlich liegt der Entwurf zur DIN SPEC Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache vor. Was steht drin?

"Wie der Name schon sagt: Empfehlungen für Leichte Sprache. Dabei wurden ganz verschiedene Themen berücksichtigt. Natürlich viele sprachliche Dinge, also Wortschatz, Satzbau, Textgliederung und so weiter. Aber der Entwurf geht darüber weit hinaus und gibt auch Empfehlungen für die optische und grafische Gestaltung von Text, für die Wahl eines passenden Mediums, für den Arbeitsprozess der Texterstellung und vieles mehr."

Was ist dein erster Eindruck des Entwurfs?

"Schade, dass es nur Empfehlungen sind! Das Dokument ist an vielen Stellen ein Fortschritt gegenüber dem, was wir haben, und wäre – mit ein paar entscheidenden Änderungen – wert, ein verbindlicher Standard zu sein. Denn das wäre ein echter Mehrwert gewesen: Verschiedene Regelwerke zu harmonisieren und einen echten, verbindlichen und idealerweise wissenschaftlich begründeten Qualitätsstandard zu setzen."

Welche Aspekte des Entwurfs erscheinen dir sinnvoll oder wichtig - was hältst du für besonders gelungen?

"Auf der sprachlichen Ebene gibt es einige klare Verbesserungen gegenüber bisherigen Regelwerken. Zum Beispiel die Empfehlung, dass Leichte Sprache grammatikalisch korrektes Deutsch sein sollte. Warum das allerdings nur eine Empfehlung und keine feste Regel ist, verstehe ich nicht.

Oder dies: Leichte Sprache vermeidet bisher den Genitiv komplett. Das wird in dieser DIN SPEC zurecht relativiert. Hier waren mir die Regeln bisher zu strikt und haben eher dazu geführt, dass Texte in Leichter Sprache befremdlich wirken. Ein konkretes Beispiel aus dem Entwurf: Die Formulierung „Annas Auto“ ist kein Problem, das verstehen alle. „Das Auto von Anna“ klingt dagegen irgendwie nach Kindersprache. Und genau das soll Leichte Sprache nicht sein.

Darüber hinaus begrüße ich sehr, dass Themen bearbeitet wurden, die bisher oft zu kurz kamen: Gestaltung, Schriftart, Art des Mediums, Kontextualisierung des Textes und so weiter. Hier macht der Entwurf viele gute Empfehlungen."

Wo siehst du im Entwurf Verbesserungsbedarf?

"Zwei wesentliche Punkte.

Erstens: Geschlechtergerechte Sprache, unter bestimmten Umständen inklusive Sonderzeichen, wird in Leichter Sprache erlaubt. Verstehen wir uns nicht falsch: Privat gendere ich meine Texte, mündlich wie schriftlich. Ich bin kein Gender-Gegner. Auch in Einfacher Sprache halte ich das Gendern in Grenzen für möglich. Aber nicht in Leichter Sprache. Es ist ja so: Geschlechtergerechte Sprache und Leichte Sprache haben ein gemeinsames Anliegen – Inklusion. Geschlechtergerechte Sprache will Menschen mitnehmen, indem sie explizit genannt werden. Leichte Sprache will Menschen mitnehmen, indem sie verstehen können, was gemeint ist. Die Frage aus der Sicht der Leichten Sprache ist nun: Was brauchen diese Menschen, um zu verstehen? Und hier gibt es einen Zielkonflikt. Denn sie lesen mühsam, entziffern Texte Buchstabe für Buchstabe. Wenn ich ein unbekanntes Zeichen wie den Genderstern in den Text schreibe, ist die Zielgruppe schlicht und einfach raus. Damit erreiche ich mein Ziel nicht mehr: Verständlichkeit.

Zweitens: Die DIN SPEC legt großen Wert darauf, Texte in Leichter Sprache als solche zu kennzeichnen. Es soll auf dem Cover, im Menü, auf dem Startbildschirm oder wo auch immer gut sichtbar sein, dass ein Angebot in Leichter Sprache ist. Ich verstehe den Gedanken: Wer es braucht, muss das Angebot finden. Aber ist es nicht stigmatisierend, wenn wir diesen Menschen gleichsam ein Schild aufkleben: „Hey, schaut alle her, dieser Mensch nutzt Leichte Sprache!“? Das ist aus meiner Sicht das Gegenteil von Inklusion. Wir schaffen zwei Systeme nebeneinander. Wenn ich böse und politisch unkorrekt formulieren wollte, würde ich sagen: Standardsprache für die Mehrheit und Leichte Sprache für die „Behinderten“. Wäre nicht stattdessen eine Sprache für alle erstrebenswert? Eine Sprache, die wirklich inklusiv ist? Eine Sprache, die so einfach ist, dass alle sie verstehen? Eine Sprache, die aber gleichzeitig nicht „speziell“ sein will? Streng genommen kritisiere ich an dieser Stelle aber nicht den Entwurfstext der DIN SPEC, sondern eine grundsätzliche Haltung."

Wie viel Handlungsspielraum (Empfehlungen statt klar definierter Regeln) ist sinnvoll und ab wann funktioniert es nicht mehr?

"Tja, das ist die große Frage. 100% Empfehlungen und 0% verbindliche Regeln, das scheint mir jedenfalls nicht der richtige Weg zu sein. Was fange ich mit einem Dokument an, das mir sagt, was ich tun „soll“? Ich mache mir meine eigenen Regeln. Ich kann nämlich überall sagen: An dieser Stelle möchte ich eine Ausnahme machen und von den Empfehlungen abweichen. Ist dieser Entwurf nicht geradezu eine Einladung dazu? Ich bin an dieser Stelle sehr auf die Kommentierungsphase gespannt und auf die Diskussion in der Fach-Community."

Wird der Entwurf im Bereich Leichte Sprache eine große Wirkung erzielen?

"Wenn ich das wüsste… (Pause)

Wäre es nicht einfacher, eine große Wirkung zu erzielen, wenn es eine Differenzierung zwischen klaren Regeln, Empfehlungen und Optionen gäbe? Also: Was muss ich unbedingt beachten, damit mein Text als Leichte Sprache gelten kann? Was sollte ich außerdem tun, es sei denn ich habe wirklich gute Gründe dagegen? Und welche Dinge kann ich umsetzen, wenn ich es für sinnvoll halte? Wäre damit nicht viel mehr gewonnen, als mit einem prinzipiell guten, aber unverbindlichen DIN SPEC-Text?"


Bild: privat