03.05.23

20230427_131736

Über den Stellenwert von Literatur in Einfacher Sprache in Deutschland

- und was getan werden muss

 

Die Buchmesse in Leipzig ist immer wieder inspirierend. Sie ist der Ort, an dem man alte Kontakte auffrischen und neue Leute treffen kann. Wenn so viele Menschen zusammenkommen, denen der Buchhandel am Herzen liegt, entsteht immer ein Gefühl der Solidarität. Ich war letzte Woche auf Einladung durch die Dekade der Alphabetisierung dort, habe an Podiumsdiskussionen teilgenommen und zusammen mit unserer Stammautorin Marion Döbert unseren Verlag vor Ort auf der Bühne und im Gespräch mit anderen Literaten vertreten. Die ehemalige Leiterin des Bereichs Alphabetisierung bei der UNESCO und Mitbegründerin des Bundesverbandes für Alphabetisierung und Grundbildung ist seit einem Jahrzehnt eine sehr produktive Autorin. Sowohl in Bezug auf ihre eigenen Bücher als auch auf die Nacherzählungen von Literatur. Sie hat berühmte Werke wie Die Deutschstunde nacherzählt, eigene Romane und Sammlungen von Kurzgeschichten geschrieben.

In einem unserer gemeinsamen Gespräche ging es um den Stellenwert der Einfachen Sprache. In Leipzig wurde wieder einmal deutlich, wie sehr die Einfache Sprache in Deutschland bereits Fuß gefasst hat und wie viele Menschen, vor allem aus unseren Zielgruppen, von ihr profitieren. Sie sind dankbar dafür, während in den literarischen Kreisen noch immer mit einer gewissen Geringschätzung über das Thema gesprochen wird. In einer von Andreas Brinkmann moderierten Fragerunde vor Ort machte vor allem Frau Döbert keinen Hehl daraus. Hier ein paar Auszüge daraus.

Brinkmann: Was fällt Ihnen an dieser immer noch unterbewerteten Position der Einfachen Sprache auf?

Marion Döbert: Im Kulturbereich gibt es ein wie in Stein gemeißeltes "Übersehen" von Literatur in Einfacher Sprache und zwar in den Bereichen Bibliotheken, Buchhandel, Presse und Medien sowie in der Verlagsförderung.

Brinkmann: Was halten Sie davon?

Marion Döbert: Ich finde es merkwürdig. Da werden große Zielgruppen übersprungen. Ich plädiere dafür, dass Literatur in Einfacher Sprache verstärkt in Deutschland in den Fokus gerückt werden muss. Es sollte klar sein, dass rund sechs Millionen deutschsprachige Erwachsene in Deutschland nur unzureichend lesen können. In nahezu jeder Kommune gibt es gering literalisierte Personengruppen (funktionale Analphabeten), die in Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen gefördert werden (sollten). Aber es sind nicht nur die Erwachsenen. Nur 32% der 12-19-jährigen Jugendlichen lesen noch aus eigenen Stücken. Unter den Jungen sind 23% Nichtleser, unter den Mädchen 13%. Je niedriger die formale Bildung, desto höher der Anteil der Nichtleser.

Brinkmann: Für diese Menschen ist die Einfache Sprache ein Glücksfall?

Marion Döbert: Auf jeden Fall. Menschen mit Handicap - angeboren, nach einem Schlaganfall oder Unfall - müssen die Lesekompetenz und den Umgang mit Büchern oft erst (wieder) neu erwerben. Auch Hörgeschädigte sind in der Regel auf Literatur in Einfacher Sprache angewiesen. Und es gibt weitere Zielgruppen, auf die dies zutrifft. Senioren, die einst lese-affin waren, können aufgrund von abnehmender Seh- und Konzentrationskraft teilweise keine komplexen Werke mehr lesen. Neu zugewanderte Menschen können oft deutschsprachige Literatur nicht sinnentnehmend lesen.

Brinkmann: Geht es nur um diese Zielgruppen?

Marion Döbert: Nein. Viele Menschen haben keine Zeit mehr zum Lesen von komplexer Literatur, weil sie durch Arbeit und Familie, aber vor allem auch durch den digitalen Einfluss (Social Media, WhatsApp, YouTube etc.) zu stark beansprucht sind. Die digitale Lesesozialisation, das sogenannte Häppchen-Lesen, erschwert die Konzentration und Hinwendung zu einem komplexen literarischen Werk.

Brinkmann: Welche Rolle sehen Sie für die verschiedenen Parteien in der Welt der Bücher?

Marion Döbert: Flächendeckend sollen Bibliotheken, unter anderem durch ihre Dachverbände, über Literatur in Einfacher Sprache informiert werden und entsprechende Buchbestände anschaffen. Dazu sollten Sonderförderprogramme (z.B. der Länder) zur Fortbildung des Bibliothekspersonals und für die Bestandserweiterung der Bibliotheken um Literatur in Einfacher Sprache bereitgestellt werden.

Brinkmann: Und die Buchbranche?

Marion Döbert: Der Buchhandel soll über seine Dachverbände oder Interessenverbände über Literatur in Einfacher Sprache informiert und dazu aufgerufen werden, Wenigstens zum Weltalphabetisierungstag (jedes Jahr am 8.9.), zum Internationalen Vorlesetag (jedes Jahr am 3. Freitag im November) und zum Tag des Buches (jedes Jahr am 23.4.) muss auf Literatur in Einfacher Sprache durch Schaufenstergestaltung und Sonderbüchertische hingewiesen werden. Das Verkaufspersonal sollte ebenfalls zu Literatur in Einfacher Sprache informiert sein.

Brinkmann: Welche Rolle spielen die Medien?

Marion Döbert: Presse und Medien werden dazu aufgefordert und motiviert, Literatur in Einfacher Sprache zu berücksichtigen, zum Beispiel bei Buchbesprechungen, Literaturempfehlungen oder Berichterstattungen zu Buchmessen.

Brinkmann: Ein Verlag wie der Spaß am Lesen Verlag bleibt also notwendig?

Marion Döbert: Es bedarf der gezielten Förderung von Verlagen, die das Segment der Literatur in Einfacher Sprache schwerpunktmäßig umsetzen. Nur so kann die Literalität breiter Bevölkerungsgruppen in Deutschland initiiert, gestärkt und erhalten werden.

- und was getan werden muss

 

Die Buchmesse in Leipzig ist immer wieder inspirierend. Sie ist der Ort, an dem man alte Kontakte auffrischen und neue Leute treffen kann. Wenn so viele Menschen zusammenkommen, denen der Buchhandel am Herzen liegt, entsteht immer ein Gefühl der Solidarität. Ich war letzte Woche auf Einladung durch die Dekade der Alphabetisierung dort, habe an Podiumsdiskussionen teilgenommen und zusammen mit unserer Stammautorin Marion Döbert unseren Verlag vor Ort auf der Bühne und im Gespräch mit anderen Literaten vertreten. Die ehemalige Leiterin des Bereichs Alphabetisierung bei der UNESCO und Mitbegründerin des Bundesverbandes für Alphabetisierung und Grundbildung ist seit einem Jahrzehnt eine sehr produktive Autorin. Sowohl in Bezug auf ihre eigenen Bücher als auch auf die Nacherzählungen von Literatur. Sie hat berühmte Werke wie Die Deutschstunde nacherzählt, eigene Romane und Sammlungen von Kurzgeschichten geschrieben.

In einem unserer gemeinsamen Gespräche ging es um den Stellenwert der Einfachen Sprache. In Leipzig wurde wieder einmal deutlich, wie sehr die Einfache Sprache in Deutschland bereits Fuß gefasst hat und wie viele Menschen, vor allem aus unseren Zielgruppen, von ihr profitieren. Sie sind dankbar dafür, während in den literarischen Kreisen noch immer mit einer gewissen Geringschätzung über das Thema gesprochen wird. In einer von Andreas Brinkmann moderierten Fragerunde vor Ort machte vor allem Frau Döbert keinen Hehl daraus. Hier ein paar Auszüge daraus.

Brinkmann: Was fällt Ihnen an dieser immer noch unterbewerteten Position der Einfachen Sprache auf?

Marion Döbert: Im Kulturbereich gibt es ein wie in Stein gemeißeltes "Übersehen" von Literatur in Einfacher Sprache und zwar in den Bereichen Bibliotheken, Buchhandel, Presse und Medien sowie in der Verlagsförderung.

Brinkmann: Was halten Sie davon?

Marion Döbert: Ich finde es merkwürdig. Da werden große Zielgruppen übersprungen. Ich plädiere dafür, dass Literatur in Einfacher Sprache verstärkt in Deutschland in den Fokus gerückt werden muss. Es sollte klar sein, dass rund sechs Millionen deutschsprachige Erwachsene in Deutschland nur unzureichend lesen können. In nahezu jeder Kommune gibt es gering literalisierte Personengruppen (funktionale Analphabeten), die in Alphabetisierungs- und Grundbildungskursen gefördert werden (sollten). Aber es sind nicht nur die Erwachsenen. Nur 32% der 12-19-jährigen Jugendlichen lesen noch aus eigenen Stücken. Unter den Jungen sind 23% Nichtleser, unter den Mädchen 13%. Je niedriger die formale Bildung, desto höher der Anteil der Nichtleser.

Brinkmann: Für diese Menschen ist die Einfache Sprache ein Glücksfall?

Marion Döbert: Auf jeden Fall. Menschen mit Handicap - angeboren, nach einem Schlaganfall oder Unfall - müssen die Lesekompetenz und den Umgang mit Büchern oft erst (wieder) neu erwerben. Auch Hörgeschädigte sind in der Regel auf Literatur in Einfacher Sprache angewiesen. Und es gibt weitere Zielgruppen, auf die dies zutrifft. Senioren, die einst lese-affin waren, können aufgrund von abnehmender Seh- und Konzentrationskraft teilweise keine komplexen Werke mehr lesen. Neu zugewanderte Menschen können oft deutschsprachige Literatur nicht sinnentnehmend lesen.

Brinkmann: Geht es nur um diese Zielgruppen?

Marion Döbert: Nein. Viele Menschen haben keine Zeit mehr zum Lesen von komplexer Literatur, weil sie durch Arbeit und Familie, aber vor allem auch durch den digitalen Einfluss (Social Media, WhatsApp, YouTube etc.) zu stark beansprucht sind. Die digitale Lesesozialisation, das sogenannte Häppchen-Lesen, erschwert die Konzentration und Hinwendung zu einem komplexen literarischen Werk.

Brinkmann: Welche Rolle sehen Sie für die verschiedenen Parteien in der Welt der Bücher?

Marion Döbert: Flächendeckend sollen Bibliotheken, unter anderem durch ihre Dachverbände, über Literatur in Einfacher Sprache informiert werden und entsprechende Buchbestände anschaffen. Dazu sollten Sonderförderprogramme (z.B. der Länder) zur Fortbildung des Bibliothekspersonals und für die Bestandserweiterung der Bibliotheken um Literatur in Einfacher Sprache bereitgestellt werden.

Brinkmann: Und die Buchbranche?

Marion Döbert: Der Buchhandel soll über seine Dachverbände oder Interessenverbände über Literatur in Einfacher Sprache informiert und dazu aufgerufen werden, Wenigstens zum Weltalphabetisierungstag (jedes Jahr am 8.9.), zum Internationalen Vorlesetag (jedes Jahr am 3. Freitag im November) und zum Tag des Buches (jedes Jahr am 23.4.) muss auf Literatur in Einfacher Sprache durch Schaufenstergestaltung und Sonderbüchertische hingewiesen werden. Das Verkaufspersonal sollte ebenfalls zu Literatur in Einfacher Sprache informiert sein.

Brinkmann: Welche Rolle spielen die Medien?

Marion Döbert: Presse und Medien werden dazu aufgefordert und motiviert, Literatur in Einfacher Sprache zu berücksichtigen, zum Beispiel bei Buchbesprechungen, Literaturempfehlungen oder Berichterstattungen zu Buchmessen.

Brinkmann: Ein Verlag wie der Spaß am Lesen Verlag bleibt also notwendig?

Marion Döbert: Es bedarf der gezielten Förderung von Verlagen, die das Segment der Literatur in Einfacher Sprache schwerpunktmäßig umsetzen. Nur so kann die Literalität breiter Bevölkerungsgruppen in Deutschland initiiert, gestärkt und erhalten werden.