Im Meer schwimmen Krokodile
Enaiatollah war etwa zehn Jahre alt, als seine Mutter mit ihm Afghanistan verließ. Die Familie gehört der Volksgruppe „Hazara“ an. Und die sind nichts wert, meinten andere Leute. Für den Jungen begann die Flucht in ein besseres Leben. Ohne seine Familie.
„Hast du meine Mutter gesehen?“, fragte ich.
Der Mann sagte ohne aufzublicken:
„Ja, ich habe sie gesehen.“
Ich war froh.
„Wo ist sie hingegangen?“, wollte ich wissen.
„Fort“, antwortete er.
„Wohin fort? Und wann kommt sie wieder“, fragte ich.
„Sie kommt nicht wieder“, sagte Onkel Rahim.
Fabio Geda wurde 1972 in Turin (Italien) geboren. Er hat mehrere Bücher geschrieben. Bei einer Lesung lernte er Enaiatollah Akbari kennen. Der erzählte Geda seine Geschichte. So entstand dieses ergreifende Buch.
Lesen Sie hier die ersten Kapitel aus Im Meer schwimmen Krokodile! Ausschließlich zum Gebrauch als Leseprobe. Alle Rechte vorbehalten.
Zubehör: Lesebegleitheft
Autor/-in: | Fabio Geda |
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Seitenzahl: | 127 |
Buchauswahl: | Roman oder Erzählung |
Leselevel: | Level 3 |
Leseniveau: | A2/B1 |
Sprache: | Deutsch |
Themen: | Erwachsenwerden, Neue Heimat |
Zielgruppe: | Erwachsene |
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12. Juli 2019 12:00
Der Stil der einfachen Sprache passte von der ersten Zeile an zu der Geschichte.
Die Vorstellung, mein Zuhause zu verlassen und ins Ungewisse zu fliehen, fällt mir sehr schwer. Wenn die Gefahr zu bleiben größer wird, als die Risiken, die auf der Flucht warten. Hoffnung auf eine Zukunft in einem fremden Land mit einer ganz anderen Kultur. Was wir hier sehen, ist die Ankunft der Flüchtlinge. Containersiedlungen. Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen. Bürokratische Probleme und Diskussionen darüber, ob sie bleiben dürfen.
Was haben sie eigentlich erlebt? Warum sind sie hier? Das sind Fragen, die unangenehme Antworten mit sich bringen. Fragen, die schwer fallen. Noch schwerer fällt es, nachdem man einzelne Geschichten und Erlebnisse kennt, Flüchtlinge ausschließlich als Problem anzusehen. Zumindest hoffe ich das es so ist. Sie suchen hier bei uns eine Lösung, ein neues Zuhause. Einigen gelingt das, aber ich fürchte sehr viele werden enttäuscht, treffen auf Hindernisse, die sie nicht überwinden können.
Es gibt viele Fluchtgeschichten, jede ist individuell persönlich. Bilder von den Flüchtlingsbooten sind in den Nachrichten zu sehen. Es sind Menschen, Menschen mit Angst und Hoffnung. Um diese Ängste und Hoffnungen zu begreifen, lohnt es sich ihnen zuzuhören, ihre Geschichten zu erfahren oder auch zu lesen.
Daher halte ich es für sehr wertvoll, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, etwas über diese persönlichen Geschichten zu erfahren. Bücher zu lesen oder die Geschichten als Audio zu hören, ermöglicht es, sie mit einer gewissen Distanz zu erfahren und individuell zu portionieren. Dennoch bieten diese aufgezeichneten Geschichten eine Möglichkeit, den eigenen Horizont zu erweitern und ein besseres Verständnis für die Situation der Flüchtlinge zu entwickeln. Hinzu kommt, dass man natürlich auch nicht jeden direkt auf seine persönliche Erfahrung ansprechen kann. Nicht jeder möchte jedem offen die eigene Fluchtgeschichte erzählen.
Enaiatollah Akbaris Geschichte
Mit zehn Jahren floh Enaiat mit seiner Mutter aus Afghanistan. Er schaffte es nach Italien. Der Schriftsteller Fabio Geda erzählt mit ihm zusammen seine Geschichte dieser Flucht. Im “Spaß am Lesen Verlag” ist diese Geschichte in einfacher Sprache erschienen.
Im Meer schwimmen Krododile
Enaiat nimmt uns mit in sein Heimatdorf, erzählt von dem einfachen Leben dort. In Nawa gehören die Menschen der kleineren Volksgruppe der Hazara an. In Afghanistan leben sehr viele verschiedene Volksgruppen, die verschiedene Sprachen sprechen und kein gutes Verhältnis zueinander haben.
Manche Paschtunen meinen: “Hazara sind nichts wert. Es sind Sklaven, die keine Rechte haben.”
Nicht nur von den Paschtunen drohte Enaiats Familie Gefahr, auch von den Taliban, die gewaltsam die Schule im Dorf schlossen. Eines Tages verließ er mit seiner Mutter und einem Freund des Vaters das Dorf. Seine ältere Schwester und der jüngere Bruder kamen nicht mit. Auch seine Mutter begleitet ihn nur bis Pakistan. Eine Erklärung hat er nicht. Er ist zehn Jahre alt und auf sich allein gestellt, beginnt zu arbeiten, anstatt die Schule zu besuchen.
Hinten im Buch befindet sich eine Karte mit Enaiats Reiseroute, keine geradlinige Reise von A nach B. Eine Reise mit zahlreichen Schleifen, Rückschlägen, längeren Aufenthalten und vielen Gefahren. Viele sind unterwegs gestorben, Enaiat hatte Glück, traf auf gute Menschen, die ihm halfen und kam in Italien an, wo er ein neues Leben beginnen konnte. Er ist 21 Jahre alt, als er seine Geschichte erzählt. Am 11. September 2001 befand er sich gerade im Iran.
Es ist kein Abenteuer, sondern Realität für sehr viele Menschen. Grausame, nahezu unvorstellbare Realität. So viele sterben auf der Flucht. Nicht alle, die ankommen, dürfen ein neues Leben beginnen. Viele werden zurück geschickt. Auch in Enaiats Geschichte wird deutlich, wie schwierig es ist, in einem fremden Land anzukommen, aber nicht arbeiten zu dürfen.
Einfache Sprache
Der Stil der einfachen Sprache passte von der ersten Zeile an zu der Geschichte. Eben weil sie einfach war. Grammatikalisch korrekt, aber nicht komplex, passte es zu einem Jungen, der seine eigene Geschichte in einer fremden Sprache erzählt. Auch wenn am Ende deutlich wird, dass Enaiat sehr gut italienisch gelernt hat und er inzwischen 21 Jahre alt ist.
2. Juni 2019 12:00
unbedingt lesenswert, anrührend und bereichernd
Für meine erwachsenen Leseanfänger (Deutsch für Ausländer) habe ich mir das Buch „Im Meer schwimmen Krokodile“ gekauft. Der Bericht von Enaiatollah, von Fabio Geda aufgeschrieben, ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend und anrührend. Nach der Lektüre war ich so sehr beeindruckt, dass ich mir auch die Originalausgabe gekauft habe. Die Ausgabe in einfacher Sprache gibt das Original gut wieder, wobei das Original natürlich nicht voll erreicht werden kann.