02.11.23

alphabuchmesse

Die Buchmesse und geringe Alphabetisierung

Die Frankfurter Buchmesse ist seit Jahrzehnten der jährliche Treffpunkt für die Verlagsbranche in aller Welt. Sie ist die Drehscheibe für den internationalen Rechtehandel. Die Rechte an den meisten Büchern, die Sie lesen, wurden in Frankfurt gekauft oder verkauft. Ich gehe seit vielen Jahren auf die Messe. Und jedes Jahr spüre ich, wie besonders es ist, sich in diesem temporären Tempel des Lesens aufzuhalten. Nirgendwo auf der Welt steht 'das Buch' so leidenschaftlich im Mittelpunkt wie in dieser einen Woche im Oktober in Frankfurt. 

Da man dort auch von der neuen Nische des leichten Lesens Wind bekommen hat, gab es sogar eine Podiumsdiskussion zum Thema Lese- und Schreibschwäche, die in Absprache mit der deutschen Alpha-Selbsthilfegruppe organisiert wurde, einer Vereinigung von (ehemaligen) funktionalen Analphabeten. Da ich ein alter Hase in diesem Genre bin, wurde ich eingeladen und durfte die wichtige Rolle von einfachen Büchern bei der Bekämpfung dieser geringen Lesekompetenz erläutern.

Neben mir am Mikrofon saßen zwei Vorstandsmitglieder der Gruppe, die den Zuhörern von ihren Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben erzählten; wie ihre Probleme in der Schule ignoriert wurden, wie isoliert und machtlos sie sich in der Gesellschaft immer noch fühlten und wie sie nach langem Zögern doch noch einen Kurs begonnen hatten - in fortgeschrittenem Alter. Die Zuhörerinnen und Zuhörer waren sichtlich gerührt, auch wenn einige zunächst ungläubig oder sogar leicht irritiert waren - Lesen und Schreiben werden als selbstverständliche Fähigkeiten angesehen, so sehr, dass es für manche Menschen undenkbar ist, dass jemand anderes es nicht könnte.

Neben den bewegenden Anekdoten meiner Nachbarn war es für mich interessant zu sehen, welche Fragen bei einer solchen Podiumsdiskussion gestellt werden; sie spiegeln den Wissensstand zu diesem Thema wider. Seit einigen Jahren wird in den Medien über geringe Lese- und Schreibkenntnisse berichtet: Was bleibt beim Durchschnittspublikum hängen?

Das war ein bisschen enttäuschend. Zum Beispiel wurde hartnäckig von Analphabetismus statt von geringer Alphabetisierung gesprochen. Kein Wort über die umgekehrte Pyramide, die die geringe Alphabetisierung in unserem Teil der Welt darstellt: die schwächste Gruppe ist bei weitem die kleinste, und die meisten Menschen sind zwar auf einem zu niedrigen Niveau, aber noch lange keine Analphabeten. Auch wurde wieder davon ausgegangen, dass Menschen mit geringen Schreib- und Lesefähigkeiten eine eigene, gesonderte Gruppe darstellen, so als wären sie Patienten mit einer bestimmten Krankheit.

Ich bin froh, dass Frankfurt dem Phänomen der geringen Lese- und Schreibkompetenz Aufmerksamkeit geschenkt hat. Hoffentlich bleibt es nicht bei einer einmaligen Aktion und wird im nächsten Jahr zu einem Hauptthema.