09.01.25
Generation Bildschirm
Ich werde oft gefragt, warum junge Menschen heutzutage so wenig lesen und warum die Lesekompetenz so stark abnimmt. Diese Fragen kommen besonders dann auf, wenn eine neue PISA-Studie veröffentlicht wurde und Deutschland im Laufe der Jahre langsam immer weiter auf der Rangliste nach unten rutscht.
Ob junge Menschen aber wirklich weniger lesen, ist fraglich. Besonders, wenn man sich den „Boom“ in der Kategorie der „Young-Adult“-Bücher ansieht. In vielen Buchhandlungen stehen diese Bücher in großen Stapeln in der Auslage zum Verkauf. Von der Menge her übertreffen sie die klassische „Erwachsenenliteratur“ daher um Längen. Für viele große Verlage ist ein solcher Imprint für Jugendliteratur ein wichtiges Standbein.
Dass junge Menschen weniger lesen, ist also nicht das Thema. Vielmehr ist die Auswahl an traditioneller Literatur für viele junge Menschen nicht mehr ansprechend genug. Sie lesen lieber Bücher, in denen sie sich selbst wiedererkennen können. Gleichzeitig gibt es jedoch auch eine Gruppe von Jugendlichen, die überhaupt nicht mehr liest. Denn viele Jugendliche werden von all den Displays und Bildschirmen in den Bann gezogen. Kinder kommen heute oft von klein auf mit Bildschirmen in Berührung. Ob Handys, Laptops, Fernseher oder Tablets: Es gibt sicher keinen Haushalt in diesem Land, in dem diese Geräte nicht vorhanden sind. Deshalb sind Kinder schon früh mit ihnen vertraut.
Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass dies das Lesenlernen beeinträchtigt. Denn Lesen ist kein angeborener, „natürlicher“ Prozess. Es muss dem Gehirn beigebracht werden – ganz im Gegensatz zur Fähigkeit zum Betrachten von Bildern, die im Gehirn schon „vorgefertigt“ ist. Vier verschiedene Teile des Gehirns müssen miteinander verknüpft werden, um das Lesen zu ermöglichen. Dieser Prozess braucht Übung und Konzentration, das passiert nicht automatisch.
Ein Bild hingegen ist für das Gehirn einfacher zu erfassen, es ist wie eine Art „Süßigkeit“. Deshalb sind Bilder nicht nur auf allen digitalen Geräten, die wir ständig bei uns tragen, in sehr großen Mengen vorhanden, sie sind auch leichter für uns zu konsumieren. Die Anstrengung, die das Lesen hingegen für das Gehirn erfordert, überwiegt bei jungen Menschen häufig. Die einfachere Befriedigung durch visuelle Inhalte auf dem Bildschirm steht der mühsamen Auseinandersetzung mit Lektüre also entgegen.
Zusammengenommen scheint mir das Grund genug zu sein, den Zusammenhang zwischen Lesekompetenz und Bildschirmnutzung junger Menschen genauer zu untersuchen. Zumal viele Untersuchungen bereits zeigen, dass bei jungen Menschen, die häufig ihr Handy benutzen, die Großhirnrinde weniger ausgeprägt ist. Bei ihnen scheint auch die „Insula“ (das so genannte „Bremspedal“ des Gehirns) kleiner zu sein. Folglich kann es zu impulsiveren Reaktionen und unüberlegten Entscheidungen kommen. All das sind Entwicklungen, die wir nicht ignorieren sollten und die weitere Forschung und Aufmerksamkeit erfordern!
Bild: Canva