20.11.22

Lesung_MobyDick

Moby Dick in Kiel gesichtet

Der rund 900 Seiten umfassende Roman von Herman Melville ist ein Stück Weltliteratur. Bei uns liegt Moby Dick in Einfacher Sprache in der deutschen Übersetzung von Bettina Stoll vor. Damit ist das Werk zugänglich für Menschen, denen das Lesen und Schreiben schwerfällt.

Über 30 Prozent aller Erwachsenen profitieren von leicht lesbaren Texten. Das erscheint vielen sinnvoll und nachvollziehbar, wenn es um Informationen oder Formulare geht. Aber Literatur in Einfacher Sprache? Ob das wohl funktioniert?

Das wollte das Grundbildungszentrum in Kiel im Rahmen des bundesweiten Vorlesetages ausprobieren. Das Grundbildungszentrum wollte einen Eindruck von Literatur in Einfacher Sprache vermitteln und ein Publikum mit und ohne Lese-Erfahrung in die raue Welt der Walfänger auf hoher See entführen. Denn zu Kiel, der Stadt am Meer, passt die Geschichte rund um Kapitän Ahab und seine fanatische Jagd auf den weißen Wal sehr gut.

Glücklicherweise konnte das Organisations-Team drei prominente Kieler*innen als Vorlesende gewinnen:
Den Kieler Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer, die Schauspielerin Marie Kienecker und den Gastgeber von „Austs literarischem Salon“ Norbert Aust, der den Text für drei Vorlesende bearbeitet hat. Der Oberbürgermeister schlüpfte in die Rolle des Ich-Erzählers Ismael. Norbert Aust sprang in rasantem Wechsel in alle Rollen mit wörtlicher Rede, wobei insbesondere die rüden Ausrufe von Kapitän Ahab - „Verziehen Sie sich, Sie Hund!“ - große Heiterkeit im Publikum auslöste. Und Marie Kienecker sorgte für die Gänsehaut: „Überall am Schiff hängen Knochen von Walen. Riesige, weiße Knochen…“. Sie ließ die unheimliche Atmosphäre der Geschichte auf beeindruckende Weise lebendig werden.

„Unsere Ruder sind kaputt. Die Haie haben sie zerbissen. Und wir sind noch immer von den Haien umgeben. Ich höre mein Herz laut pochen.“ Bei diesen Zeilen kurz vor Ende der Geschichte herrschte gespannte Stille im gut besuchten Kulturforum und sicherlich pochte auch im Publikum das ein oder andere Herz. Das Trio brauchte genau 50 Minuten, um die gesamte Geschichte lebendig werden zu lassen und wurde mit begeistertem Applaus gefeiert. Im anschließenden Austausch bei Kaffee und Kuchen im Statt-Café gab es viel positive Resonanz, des erfreulicherweise gemischten Publikums. Neben Gästen, die häufig literarische Lesungen besuchen, war es für andere der erste Besuch einer Lesung, darunter auch Lernende aus den Lesen- und Schreiben- Kursen des Grundbildungszentrums. Insbesondere der zum Teil schnelle Wechsel der Vorlesenden hat für Begeisterung gesorgt.

Und alle, für die es die erste Berührung mit einem literarischen Text in Einfacher Sprache war, waren sich einig: Es funktioniert! Natürlich lag das an den wunderbaren Vorlesenden, denen großer Dank gebührt, dass sie der Lesung mit ihrer prominenten Unterstützung eine große Reichweite geschenkt haben. Da auch sie die Lesung genossen haben, steht schon fest: Das wird nächstes Jahr wiederholt. Mit einer neuen Geschichte in Einfacher Sprache.


Martina Vanicek, grundbildung@foerde-vhs.de

Foto: Felicitas Schmidt